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Kapitel 1: Terror

Im Jahr 1933 gelangte in Deutschland durch demokratische Wahlen eine Partei an die Macht, die sich sofort daran machte, die Demokratie zu beseitigen. Die NSDAP – Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei – geführt von dem gebürtigen Österreicher Adolf Hitler, hatte ihre Ziele nicht verborgen. An erster Stelle stand die „Vereinigung aller Deutschen in einem Großdeutschen Reich“. Damit war vor allem gemeint, dass Österreich und die deutschsprachigen Teile der Tschechoslowakei an Deutschland angeschlossen werden sollten. Dann sollte für das deutsche Volk Lebensraum im Osten erobert werden. Eine pseudowissenschaftliche Rassentheorie behauptete, dass die germanische Rasse allen anderen überlegen und deshalb berechtigt sei, über die anderen zu herrschen. Das richtete sich vor allem gegen die jüdische Bevölkerung, aber auch gegen Roma und Sinti und andere Minderheiten. Juden sollten aus der deutschen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen und unter Fremdengesetzgebung gestellt werden. Von der Gesetzgebung und von Regierungsämtern sollten sie ausgeschlossen werden, im Falle einer Ernährungskrise sollten sie ausgewiesen werden können. Die Nationalsozialisten bekämpften die linken Parteien und die Gewerkschaften und stellten den Kommunismus als Teil einer jüdischen Weltverschwörung hin. Das Programm der NSDAP sprach sich offen gegen den Parlamentarismus und für eine Zensur der Presse aus.

Es waren viele unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Gesellschaftsschichten, die sich von dieser Bewegung etwas versprachen und ihr zum Erfolg verhalfen.

Für die Großindustrie war die Aussicht auf einen neuen Eroberungskrieg verlockend. Nicht nur für die Rüstungsindustrie, die der Regierung Waffen verkaufen konnte, die von den Steuern der Bevölkerung bezahlt würden. Die deutsche Industrie stand auf dem Weltmarkt in erster Linie mit den USA im Wettbewerb. Und schon der frühere Reichskanzler Stresemann hatte ausgerechnet, dass Deutschland einen gesicherten Markt von 150 Millionen Menschen brauchen würde, um mit Amerika konkurrieren zu können. Die amerikanischen Fabriken konnten zum Beispiel Autos in riesigen Stückzahlen produzieren, was die Herstellung billiger machte und so große Gewinne ermöglichte, die wiederum in die Modernisierung investiert werden konnten. Von einem Eroberungskrieg erwarteten sich viele deutsche Industrielle eben einen solchen sicheren Markt im Inneren, der ihnen dann möglich machen würde, auch auf dem Weltmarkt nach der Vorherrschaft zu greifen. Bis zur Machtübernahme Hitlers unterstützte die deutsche Großindustrie zwar andere nationalistische und antisemitische Parteien weitaus stärker als die NSDAP, aber sie konnte sich mit den Großmachtzielen und antidemokratischen Absichten dieser Partei durchaus identifizieren. Nach der Machtübernahme arbeitete die Großindustrie eng mit den Nationalsozialisten zusammen.

Den Industriellen konnte es auch nur recht sein, dass die NSDAP die Gewerkschaften beseitigen wollte, die für die Arbeiter und Arbeiterinnen einen höheren Anteil an den erarbeiteten Werten forderten, die kostspielige Arbeitsschutzmaßnahmen durchsetzen und die Arbeitszeit verkürzen wollten. Und sie sahen in Hitlers Bewegung einen Schutz gegen einen befürchteten kommunistischen Umsturz, der sie enteignet und entmachtet hätte.

Für viele Menschen war der Antisemitismus der Nationalsozialisten anziehend. Wer lässt sich nicht gern sagen, dass er aus irgend einem Grund wertvoller ist als andere? Und wenn einem gesagt wird, dass an allem Unglück die Juden schuld sind, vom verlorenen Krieg bis zur Weltwirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit, dann hat man für alles eine einfache Erklärung, über die man nicht lange nachzudenken braucht. Aber auch wenn sie die Rassentheorien der Nationalsozialisten nicht besonders überzeugend fanden, konnten sich viele einen Vorteil von der Entrechtung der Juden versprechen. Als das Regime die jüdischen Beamten entließ, konnten andere an ihre Stelle nachrücken, als jüdische Ärzte aus den Spitälern entfernt wurden, konnten andere ihre Posten übernehmen. An den Universitäten, an den Schulen, überall galt nun die Rasse mehr als die tatsächliche Befähigung. Als man die Juden zur Auswanderung zwang, mussten viele ihre Geschäfte, ihre Unternehmen, ihre Häuser oder Wohnungen, ihre Möbel und Bilder und was sie sonst noch besaßen viel zu billig verkaufen. So manche – auch Österreicher – konnten sich an der Vertreibung der Juden bereichern. Aber für viele bedeutete die Ausschaltung der jüdischen Konkurrenz gar keinen großen Gewinn. Oft nicht mehr als nur eine kleine Hoffnung auf eine möglicherweise verbesserte Aufstiegschance. Viele hatten vielleicht bei einer Versteigerung bloß einen hübschen Ziergegenstand oder ein nützliches Küchengerät billig erworben. Und doch schuf sich das Regime so viele, viele Mittäter und Mitschuldige, die bei jeder Maßnahme gegen ihre jüdischen Kollegen, Geschäftsfreunde, Nachbarn, Mitbürger Augen und Ohren verschlossen und schließlich auch bei Deportationen in die Ghettos und Vernichtungslager wegschauten und weghörten.

Obwohl die Schrecken des Ersten Weltkriegs noch nicht vegessen waren, hofften viele Menschen darauf, dass Deutschland den nächsten Krieg gewinnen würde und erwarteten sich Vorteile davon, in einem mächtigen deutschen Reich zu leben, das die Welt, oder zumindest Europa beherrschte.

Für die Offiziere im Militär bedeutete die Aussicht auf Krieg die Vergrößerung der Streitkräfte und damit die Aussicht auf Beförderung und Karriere.

Viele Bauern träumten davon, in Russland oder in der Ukraine Land zugeteilt zu bekommen, wenn diese Länder erobert würden. Die „minderwertige“ slawische Bevölkerung sollte ihnen dann als Dienstboten und billige Landarbeiter zur Verfügung stehen, versprach man ihnen.

Auch unter der Arbeiterschaft konnten die Nationalsozialisten Anhänger gewinnen. Ein starkes Deutschland, hofften sie, würde eine wachsende Industrie bedeuten, daher wieder mehr Arbeitsplätze und gute Löhne. Dafür waren manche bereit, auf gewerkschaftlichen Kampf und politische Rechte zu verzichten. Noch dazu, wo die Nationalsozialisten sich auch als antikapitalistische Bewegung präsentierten. Allerdings gaben sie an dem Elend der Arbeiterschaft nicht dem kapitalistischen Wirtschaftssystem die Schuld, sondern nur den jüdischen Kapitalisten und Bankiers, die sie als besonders raffgierig und hinterhältig hinstellten. Viele Arbeiter ließen sich auch durch den Terror der SA, der Sturmabteilung der NSDAP, gegen die Veranstaltungen der Kommunisten und Sozialdemokraten einschüchtern. Es fanden dann auch viele, die in der Weltwirtschaftskrise arbeitslos geworden waren, tatsächlich Arbeit in den Rüstungsbetrieben. Doch schon bald mussten sie diese Arbeitsplätze verlassen, um in den Krieg zu ziehen.

Ein großer Teil der Arbeiterschaft lehnte jedoch den Nationalsozialismus ab. Nicht einmal bei den Wahlen 1933, als Hitler schon Reichskanzler war, erhielt die NSDAP eine absolute Stimmenmehrheit. Hitler musste eine Koalition eingehen. Und immer noch erhielten die Kommunisten 12,3% der Stimmen und die Sozialisten 18,3%. Doch als ihre Parteien, Gewerkschaften und anderen Organisationen verboten und zerschlagen waren, resignierten auch viele Arbeiter und Arbeiterinnen.

Die NSDAP errichtete im Deutschen Reich innerhalb kürzester Zeit einen totalitären Einparteienstaat unter Führung Adolf Hitlers. Denn waren sie auch mit Unterstützung eines großen Teils des Volks an die Macht gekommen – halten konnten sie ihre Macht nur durch Terror. Missliebige Personen wurden aus allen staatlichen Organisationen entfernt. Konzentrationslager wurden errichtet, um politische Gegner zu beseitigen, insbesondere Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter. Presse und Rundfunk durften nur mehr im Sinne der NSDAP berichten. Der gesamte Kunstbetrieb wurde auf Parteilinie gebracht – unerwünschte Kunstwerke wurden für „entartet“ erklärt. Schon auf Kinder wurde Druck ausgeübt, den Parteiorganisationen beizutreten und die Eltern zu bespitzeln. Die Geheime Staatspolizei, die „Gestapo“, wurde als politische Polizei zur Bekämpfung der politischen Gegner eingesetzt. Die Wirtschaft wurde auf den Krieg ausgerichtet. Die „Nürnberger Gesetze“ von 1935 entzogen den Juden ihre staatsbürgerlichen Rechte und verboten die Heirat zwischen Juden und so genannten Ariern. Juden verloren zuerst alle öffentlichen Ämter, wurden willkürlich verfolgt, bestohlen und erpresst und schließlich mit einem völligen Berufsverbot belegt. Unter dem Begriff „Arisierung“ wurden alle jüdischen Unternehmen enteignet. Immer häufiger wurden nun auch Juden und Jüdinnen in Konzentrationslager eingewiesen. Viele fassten den Entschluss auszuwandern, andere aber blieben in Deutschland, weil sie sich als Deutsche fühlten und ihre Heimat nicht verlassen wollten. 1938 wurden Österreich und das Sudetenland annektiert, 1939 auch die restliche Tschechoslowakei. Demütigung, Terror und Raub brachen hier über die jüdische Bevölkerung noch schlimmer herein als in Deutschland. Der Novemberpogrom in Wien, die sogenannte Reichskristallnacht, war brutaler und niederträchtiger als alles, was Juden bis dahin in Deutschland hatten erleiden müssen. Mit dem Angriff auf Polen begann der zweite Weltkrieg. Deutschland überfiel die neutralen Staaten Luxemburg, Belgien und die Niederlande und besetzte Frankreich. Den Juden wurde nun die Ausreise verboten, sie mussten in Ghettos ziehen und den Judenstern tragen. Viele starben durch mangelnde Ernährung. 1941 marschierten deutsche Truppen in Russland ein. Gleichzeitig begann das Regime mit der systematischen Ermordung der Juden, Roma und Sinti.

Das war nur logisch. Dieses größte aller Verbrechen, der Holocaust, die Shoah, der Porajmos war die logische Konsequenz aller vorhergehenden Verbrechen gegen die Juden und „Fremdrassigen“. Da man sie entrechtet und beraubt hatte, hatte man sich gefährliche Feinde geschaffen. Da man ihnen die Möglichkeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen genommen hatte, hätte man sie ernähren müssen. Die deutschen und österreichischen Juden hätte man ja gehen lassen, wenn das Ausland sie nur genommen hätte, man hätte sich mit ihrer Vertreibung begnügt, wenn sie schnell genug hätten fliehen können. Aber in den besetzten Gebieten hatte man es nun mit einigen Millionen Juden und Jüdinnen zu tun. Sie ins Ausland abzuschieben war unmöglich. Sie in Ghettos zu sperren und zu bewachen war zu gefährlich. Sie zu ernähren war zu teuer. Die Nationalsozialisten waren an einem Punkt angelangt, an dem es kein Zurück mehr gab. Das ist keine Rechtfertigung für den Holocaust. Sondern eine um so schärfere Verdammung all der vorangegangen Taten, die schließlich auf den Holocaust zusteuerten.

Die SS errichtete Vernichtungslager in Polen, Weißrussland und der Ukraine. 6,3 Millionen Juden wurden vergast, erschossen oder sonst zu Tode gequält. Nachdem ein Großteil der deutschen und österreichischen Arbeiter an der Front waren, wurden aus den besetzten Ostgebieten Zwangsarbeiter nach Deutschland geholt. Die in den besetzten Gebieten erzeugten Lebensmittel sollten nach Deutschland und an die Armee geliefert werden, 30 Millionen Russen und Russinnen sollten planmäßig dem Hungertod preisgegeben werden. Je länger der Krieg dauerte, um so schärfer wurde der Terror gegen die eigene Bevölkerung. Die kleinste Unmutsäußerung wurde bestraft. Flugblätter zu verbreiten, die zum Sturz der Regierung oder zur Beendigung des Kriegs aufriefen, galt als Vorbereitung zum Hochverrat und wurde mit dem Tod bestraft. Politische Gegner, die zu Gefängnis verurteilt wurden, kamen nach Verbüßung ihrer Strafe in Konzentrationslager, wo viele durch Hunger, Überarbeitung und Krankheit starben oder zu Tode gefoltert wurden.

 



Wiener Forum für Demokratie und Menschenrechte
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Martin Auer
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