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Kapitel 2: Verbriefte Rechte und revolutionäre Dokumente


Anmerkung: Die Audiodateien sind gekürzt

Wenn bestimmte Menschengruppen sich Rechte erkämpften, dann mussten diese Rechte natürlich in einer Urkunde festgehalten werden. Einige solcher Dokumente aus der europäischen und amerikanischen Geschichte sollen hier vorgestellt werden.

Magna Carta, England 1215

1214 zog König Johann von England mit einer Armee nach Frankreich, um die Normandie zurückzuerobern. Nachdem er geschlagen zurückkehrte, weigerten sich die Barone, die geforderten Steuern für diesen Krieg zu bezahlen. Das hatte einen Aufstand zur Folge, bei dem die Barone auch ihre alten Rechte verlangten, die sie unter Johanns Vorgängern gehabt hatten. Schließlich musste der König ein Dokument unterschreiben, das hauptsächlich Rechte der Kirche und der Barone betraf. Aber wichtige Bestimmungen sagten zum Beispiel, dass jeder freie Bürger das Recht hatte, Eigentum zu besitzen und zu erben, dass der König Steuern nur mit Zustimmung der Vertreter des Reichs erheben durfte und dass Verbrechen nur von königlichen Richtern und nicht von den Grafen bestraft werden durften. Die wichtigste Bestimmung war, dass kein freier Mann ohne gesetzliches Urteil verhaftet und ins Gefängnis gesteckt werden durfte.


König Johann unterzeichnet die Magna Carta
Quelle: Wikipedia


Magna Carta
Quelle: Wikipedia

Immer wieder erhoben sich in Europa Bauern gegen die Unterdrückung und Ausbeutung durch den Adel. Der Höhepunkt war die Revolution von 1525, die auch als Deutscher Bauernkrieg bezeichnet wird. Doch nicht nur Bauern, auch Stadtbürger und Bergknappen waren an den Aufständen beteiligt. Oft ging es um die Wiederherstellung von alten Rechten: Die Grundherren hatten sich Weideland und Wälder angeeignet, die früher gemeinschaftlicher Besitz der Dorfgemeinden gewesen waren, und immer mehr Frondienste gefordert.

Zwölf Artikel, Oberschwaben 1525

Doch in den zwölf Artikeln, die 1525 von Vertretern oberschwäbischer Bauerngruppen beschlossen wurden, heißt es, dass die Leibeigenschaft nicht mit dem Christentum vereinbar sei, denn Jesus Christus habe alle Menschen gleichermaßen erlöst: „Darum erfindet sich mit der Schrift, dass wir frei sind und sein wollen.“


Aufständische Bauern mit der Bundschuhfahne
Quelle: Wikipedia

Petition of Right, England 1628

Nachdem der englische König Karl I. versucht hatte, ohne das Parlament zu regieren und die Magna Carta und andere Gesetze missachtete, beschloss das Parlament eine Beschwerdeschrift, genannt „Petition of Right“. Die wichtigsten Forderungen waren:

Da der König Kredite brauchte, die nur das Parlament bewilligen konnte, musste er zustimmen.

Die Entwicklung der Rechtsordnung hängt natürlich damit zusammen, wie sich die Gesellschaft insgesamt entwickelt. Adelige Grundbesitzer wollten leibeigene Bauern und Bäuerinnen haben, über die sie selber Gericht hielten. Für Dienste, die sie dem Herrscher leisteten, handelten sie sich Privilegien aus, so dass überall andere Bestimmungen herrschten.

Bürgerliche Kaufleute aber waren an einheitlichen Bestimmungen im ganzen Land interessiert, an möglichst wenig Zöllen, an einheitlichen Maßen und Gewichten, einheitlicher Währung und so weiter. Bürgerliche Fabrikbesitzer brauchten freie Arbeiter und Arbeiterinnen, die dorthin gehen konnten, wo es Arbeit gab, und die man auch wieder entlassen konnte, wenn die Geschäfte schlecht gingen. Sie wollten ihre Fabriken dort errichten können, wo es praktisch war, wo es Rohstoffe und Energie gab, und nicht von tausenderlei feudalen Vorrechten behindert werden.

Mit der Industrie entwickelten sich auch die Wissenschaften, und Traditionen und Glaubensvorstellungen verloren an Bedeutung. Die Bewegung der „Aufklärung“ betonte, dass Menschen sich auf ihre Vernunft stützen sollten, auf die menschliche Fähigkeit zu Erkenntnis. Denker der Aufklärung wie Thomas Hobbes, Samuel Pufendorf oder John Locke entwickelten die Idee, dass der Mensch von Natur aus bestimmte Rechte habe. Für Jean-Jacques Rousseau waren Menschen von Natur aus frei und gleich und sollten es auch im Staat sein. Diese Ideen spielten in der amerikansichen und französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts eine wichtige Rolle. Für die Auffassung von Aristoteles, dass manche Menschen von Natur aus Sklaven und Unterworfene seien, die über viele Jahrhunderte weitergegeben wurde, fand die Wissenschaft keine Bestätigung.

Unabhängigkeitserklärung der USA 1776

Als die amerikanischen Kolonien im Unabhängigkeitskrieg gegen England gesiegt hatten, hieß es in der Unabhängigkeitserklärung:

„Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören; dass zur Sicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingerichtet werden, die ihre rechtmäßige Macht aus der Zustimmung der Regierten herleiten; dass, wenn irgendeine Regierungsform sich für diese Zwecke als schädlich erweist, es das Recht des Volkes ist, sie zu ändern oder abzuschaffen.“

Das waren also die wichtigsten Grundsätze:

Allerdings: Als ob es selbstverständlich wäre, waren damit nur Männer gemeint. Das Wort man bedeutet im Englischen sowohl Mensch als auch Mann (ebenso wie im Französischen das Wort homme). Und die Verurteilung der Sklaverei wurde aus politischer Taktik aus der Unabhängigkeitserklärung gestrichen, damit auch die Vertreter der Südstaaten zustimmen. Erst nach dem amerikanischen Bürgerkrieg wurde die Sklaverei in den gesamten USA abgeschafft.


Unterzeichnung der Verfassung der Vereinigten Staaten
Quelle: Wikipedia

Bill of Rights, USA 1787–1791

Die „Bill of Rights“ sind die ersten zehn Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung. Die Verfassung wurde 1787 geschrieben und die Zusatzartikel gelten seit 1791. Unter anderem garantieren sie:

Sie verbieten:


Die Bill of Rights
Quelle: Wikipedia

Die amerikanische und die französische Revolution waren das Ergebnis derselben gesellschaftlichen Entwicklung: Das Bürgertum wurde immer bedeutender und verlangte dementsprechend politische Macht. Aber die Freiheitsbestrebungen wurden auch von Arbeiterinnen und Arbeitern, Bäuerinnen und Bauern unterstützt und mitgetragen.

Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, Frankreich 1789

Im Jahr 1789 schaffte das französische Volk die absolute Monarchie ab. Die Nationalversammlung, die zur Ausarbeitung einer Verfassung für die Republik einberufen worden war, erließ zunächst die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Einer ihrer Verfasser war der Marquis de Lafayette, der auch am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg teilgenommen hatte. Sie erklärt, dass es natürliche und unveräußerliche Rechte wie Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung geben muss. Alle Menschen müssen als gleich vor dem Gesetz gelten. Sie schließt auch die demokratische Gewaltenteilung ein, also die Trennung von Gesetzgebung (Legislative), ausführender Gewalt (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative).


Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte
Quelle: Wikipedia

Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin, Frankreich 1791

Doch auch die französische Erklärung der Menschenrechte galt nur für die Männer. Die Schriftstellerin Olympe de Gouges verfasste 1791 eine Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin. Darin hieß es in Artikel 1:

Sie forderte, dass alle Bürger und Bürgerinnen an der Entstehung der Gesetze beteiligt sein sollten, dass Frauen das Recht haben sollten, öffentlich zu sprechen, alle Ämter zu übernehmen und alle Berufe auszuüben. Artikel 16 aber sagte:

Olympe de Gouges war keine Republikanerin, sondern befürwortete eine konstitutionelle Monarchie. 1793, zur Zeit der „Schreckensherrschaft“ Robespierres, wurde sie verhaftet, zum Tod verurteilt und durch die Guillotine hingerichtet.


Olympe de Gouges, Porträt von Alexandre Kucharski
Quelle: Wikipedia


Olympe de Gouges vor der Hinrichtung
Quelle: Wikipedia

Es war noch ein weiter Weg bis zur vollen Gleichberechtigung der Frauen – zumindest auf dem Papier – und in vielen Ländern ist er noch nicht abgeschlossen. In Zeiten von Krisen und Konflikten gibt es auch immer wieder Rückschritte. In Österreich erhielten die Frauen erst 1918 das Wahlrecht, und bis 1967 konnten sie ohne Zustimmung des Ehemanns nicht arbeiten oder ein Bankkonto eröffnen. In der Schweiz erhielten die Fauen das Stimmrecht sogar erst 1971, und im Kanton Appenzell-Innerrhoden überhaupt erst 1990.

Der Weg zu mehr Freiheit war und ist nicht einfach und gerade. Überall auf der Welt mussten Menschen kämpfen: um das Recht zu wählen; um das Recht, sich in Gewerkschaften für angemessene Löhne und erträgliche Arbeitsbedingungen einzusetzen; um das Recht auf freie Meinung, Presse- und Versammlungsfreiheit. In langwierigen zähen Kämpfen wurden Monarchen gezwungen, gewählte Parlamente zuzulassen und sich an eine Verfassung zu halten, bis schließlich in vielen Ländern die Monarchie durch die Republik ersetzt wurde, was oft nicht ohne gewaltsame Revolutionen abging. Die Frauen konnten sich ihre Rechte auf Bildung und auf Teilnahme an der Politik erst erkämpfen, als während und nach den Weltkriegen ihre Arbeitskraft nicht nur im Haushalt, sondern auch in den Fabriken, Büros und Ämtern usw. gebraucht wurde.

Während in Europa und Amerika Menschen sich mehr Freiheiten erkämpften, unterwarfen europäische Mächte weiter Völker und Länder in anderen Kontinenten, verdrängte das „weiße“ Amerika weiter die UreinwohnerInnen und verweigerte den afro-amerikanischen Menschen noch lange nach Beendigung der Sklaverei die vollen Bürgerrechte, dehnten auch Japan und Russland ihre Besitzungen aus. Der Kampf um die Vorherrschaft in der Welt führte zu zwei großen Weltkriegen.


Wiener Forum für Demokratie und Menschenrechte
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Martin Auer
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